Was heißt Nachbarschutz im Baurecht?
Welche Rechtsmittel gibt es bei der Errichtung von Gebäuden für Nachbarn? Welche Rechtsmittel gibt es für Nachbarn bei der Erstellung von Bebauungsplänen?
1. Wann wird der Nachbar rechtlich geschützt (Rechtlicher Nachbarschutz)?
Nur bei der Verletzung solcher Normen, welche den Nachbarn in seinen Rechten verletzt. Dies ist die sog. „Schutznormtheorie“ nach § 42 Abs. 2 VwGO und nach § 113 Abs. 1 VwGO. Der Nachbar kann also gerichtlich nicht die Beachtung aller Normen verlangen. Es kommt also darauf an, ob die entsprechende Norm dem Schutz individueller Interessen dient. Es muss also von der Vorschrift her ein abgegrenzter Personenkreis betroffen sein und sich von der Allgemeinheit unterscheiden. Wenn die Norm z.B. den Wortlaut enthält, „unter Würdigung nachbarlicher Interessen“ oder „im Interesse der Nachbarn“ ist dies ein Indiz für den darin enthaltenen Nachbarschutz.
Ausnahme von diesem Grundsatz sind europarechtliche Regelungen, wie z.B. § 4 Abs. 1 Umweltrechtsbehelfsgesetz. Hierbei kann eine allgemeine Überprüfung von Normen von Nachbarn gefordert werden. Der Kreis der Kläger kann dabei ausgedehnt sein, z.B. auf Verbände.
2. Wann können Nachbarrechte verletzt sein?
Durch den Erlass eines Bebauungsplans oder einer Baugenehmigung, durch die Errichtung eines Bauwerks (z.B. von Baulärm), durch die Wirkungen eines Bauwerks, z.B. Verschattung, oder durch die Nutzungen des Bauwerks (z.B. Lärm von störendem Gewerbebetrieb) kann Nachbarschutz im Baurecht notwendig werden.
3. Welche Nachbarrechte können durch Bebauungspläne verletzt sein?
Das Recht auf Eigentum kann verletzt sein (bei Überplanung), das Recht auf Abstand, das Recht auf gerechte Abwägung von privaten und öffentlichen Belangen. Private Belange bei der Abwägung beim Erlass von Bebauungsplänen ist der Schutz vor Lärm, Schutz vor Verschattung, Schutz vor Störfällen oder die Verschonung von Schutzauflagen (bei Bestandsgebäuden). Hierbei sind Lärmrichtlinien zu beachten und beim Schutz vor Verschattung Einzelfälle zu würdigen. Beim Schutz vor Störfällen muss der angemessene Abstand des Nachbargebäudes zu Störfallbetrieben voll gerichtlich überprüft werden können (Art. 12 Abs. 1 Seveso-II-Richtlinie). Demgegenüber ist der Schutz einer schönen Aussicht nach dem VGH Kassel, Urt. v. 08.07.2004 – 3 N 1894/02, beck-online, „nur eine Chance“ und kein privater abwägungsrelevanter Belang. Auch die Frage der Wertminderung ist kein schutzwürdiger Belang eines Nachbarn im Verfahren zur Aufstellung von Bebauungsplänen.
4. Welche Nachbarrechte können im Baugenehmigungsverfahren verletzt sein?
Das Recht auf Abstand kann verletzt sein, das Recht auf nachbarliche Rücksichtnahme, das Recht auf Immissionsschutz (Verkehrslärm, Baulärm, Staub, Erschütterungen etc.), das Recht auf Gebietserhaltung, das Recht auf Denkmalschutz.
5. Was ist der Sinn und Zweck der nachbarschützenden Abstandsregelungen beim Nachbarschutz im Baurecht?
Wann müssen Abstandsregelungen nicht eingehalten werden?
Wann müssen Bauteile keinen Abstand einhalten?
Belichtung und Belüftung der Gebäude, sowie Brandschutzgründe sind die Hintergründe der baurechtlichen Abstandsregelungen.
Wenn der Bebauungsplan andere Abstände regelt oder die Bauweise als geschlossen im Bebauungsplan festgesetzt wurde, müssen Abstandsregeln nicht eingehalten werden. Bei letzterem muss an die bestehenden Gebäude dann angebaut werden.
Keine Abstände müssen folgende Bauteile einhalten: Erker, Leitungen, Treppenhäuser, Vorbauten.
6. Wann dürfen beim Nachbarschutz im Baurecht Abstandsflächen unterschritten werden?
Wenn der Nachbar selbst darauf verzichtet (im Baulastenverzeichnis oder als Abstandflächendienstbarkeit im Grundbuch oder mit Unterschrift auf dem Bauplan), bei besonderen städtebaulichen Verhältnissen oder bei Bestandsschutzfällen.
Beim Verzicht des Nachbarn auf die Abstandsflächen durch seine Unterschrift auf dem Bauplan gilt dies dinglich für das Grundstück und für den Rechtsnachfolger (!).
7. Wer kann sich nicht beim Nachbarschutz im Baurecht auf Abstandsflächen berufen?
Wer selbst Abstandsvorschriften nicht einhält, kann dies vom Nachbar ebenfalls nicht verlangen (OVG Münster, Beschl. v. 12/02/2010 – 7 B 1840/09).
8. Was ist der nachbarliche Gebietsgewährleistungsanspruch?
In einem gleichen Baugebiet besteht eine sog. „bodenrechtliche Schicksalsgemeinschaft“. Vor allem die Einhaltung der Art der baulichen Nutzung darf vom Nachbar gefordert werden (z.B. Wohngebiet), wenn nachbarschützende Festsetzungen verletzt sind, obwohl der Nachbar keine spürbare Beeinträchtigungen erleidet. Bezüglich der Einhaltung der Bauweise (offene oder geschlossene Bauweise) gilt dies nicht für den Nachbar. Beim Maß der baulichen Nutzung (Grundflächenzahl oder Geschossflächenzahl) und bei der überbaubaren Grundstücksfläche ist im Einzelfall zu entscheiden, ob der nachbarliche Gebietsgewährleistungsanspruch gilt.
9. Was kann der Nachbar tun gegen Befreiuungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans?
Wenn von nachbarschützenden Festsetzungen befreit werden soll, z.B. bei der Art der baulichen Nutzung (Baugebietsfestsetzung), kann der achbar erfolgreich gegen die Befreiuung vorgehen. Wird nicht von einer nachbarschützende Festsetzung befreit, kommt es darauf an, ob die Befreiuung das Gebot der nachbarlichen Rücksichtnahme verletzt.
Bei weiterem Beratungsbedarf im Baurecht kommen Sie gerne auf uns zu.